Hungrig auf das Leben....Das Internet in Gaza-Streifen
Hungrig auf das Leben
Das Internet ist für Jugendliche im abgesperrten Gaza-Streifen oft die einzige Chance für Kontakte nach draußen
VON GEMMA PÖRZGEN (GAZA-STADT)
"Für mich ist das Internet das Auge des Lebens", sagt Ramez Al Hilo nachdenklich. Fast jeden Tag kommt der schlaksige Student ins Internet-Café Al Manar, ein kleines Ladenlokal mitten in Gaza-Stadt. Mit grauen Plastikstühlen und hölzernen Trennwänden wirkt der Raum schlicht, aber die Computer sind modern und schnell. Ventilatoren verbreiten ein kühles Lüftchen, dass die schwüle Mittagshitze nicht mehr so spüren lässt. Ramez will im Al Manar vor allem eins: online gehen, um mit Menschen zu chatten, die woanders leben.
Es ist heute viel los im Internet-Café. Fast alle der zwölf Plätze sind besetzt, aber es ist dennoch nicht laut. Nur zwei junge Männer spielen ein Computerspiel, alle anderen sind in die Lektüre vertieft oder schreiben Emails. Es ist eine Männergesellschaft, Frauen kommen nur selten hierher. Nur wenige Cafés bieten extra Stunden für weibliche Internetnutzer an. Im konservativ muslimischen Gaza gehören die Mädchen auch beim Surfen nach Hause, aber nur wenige Familien können sich einen Internetanschluss leisten. Im Al Manar kostet die Stunde drei Schekel, das sind etwa 60 Cent.
"Die ganze Welt ist in diesem Kasten", beschreibt Ramez seine Begeisterung für das Internet. Dank der Technik hat er "neue Freunde" gefunden in Jordanien, Kuweit und anderen arabischen Staaten. "Überall sonst nimmt man seinen Pass, steigt ins Auto und fährt irgendwohin, aber hier nicht", sagt der 22-Jährige, der sein ganzes Leben in Gaza verbracht hat. Hungrig ist er auf das Leben da draußen. Denn leben in Gaza, das heißt vor allem eingesperrt sein.
Das 360 Quadratkilometer große Palästinensergebiet am Mittelmeer ist rundherum eingezäunt. Nur zwei Übergänge bieten den rund 1,4 Millionen Einwohnern den Weg nach draußen, im Norden nach Israel und im Süden nach Ägypten. Doch in diesem Jahr hat die israelische Armee die Grenze nach Israel die meisten Monate des Jahres abgeriegelt, sodass sich die meisten Gaza-Bewohner ständig wie in einem riesigen Gefängnis fühlen. Die Schließung trifft die Palästinenser besonders hart, weil sie angesichts der wirtschaftliche Misere auf Arbeit in Israel angewiesen sind und die meisten Familien keine Einkünfte mehr haben. Auch innerhalb des Gazastreifens schränkt die israelische Armee die Bewegungsfreiheit der Menschen ständig ein.
Grenzenlose Emails
Ramez ist überrascht, was seine chat-Partner alles nicht wissen über Gaza. Wenn die israelische Armee erneut vorgerückt ist, es wieder einmal Tote und Verletzte gibt. Diese Ereignisse, die sein Leben täglich bestimmen, sind außerhalb Gazas oft gar nicht bekannt. "Aber es ist schön für mich, dass es Leute interessiert zu hören, wie es hier ist." Vor allem Nicht-Araber kennen oft nur Israel, hat Ramez festgestellt. Sie fragten oft: "Wo kommst Du her? Was ist Palästina?" Mohamed Omer aus dem südlichen Grenzort Rafah hat deshalb vor zwei Jahren seine eigene professionell gestaltete Website aufgemacht. "Das tägliche Blutvergießen macht mich verrückt", sagt der 21-jährige Student, "Ich möchte etwas tun und der Wahrheit zum Licht verhelfen." Da er Englisch studiert, hat er sich bewusst für eine englischsprachige Website entschieden. Er will, dass die Menschen seine Informationen lesen, die von ihm aufgenommenen Fotos von zerstörten Häusern und verletzten Kindern nach israelischen Bulldozer-Aktionen sehen. Vor einem Jahr hat die israelische Armee auch sein Haus zerstört und seinen jüngeren Bruder getötet. "Als ich vor lauter Trauer und Schmerz meine Website nicht mehr erneuert habe, bekam ich ganz viele Emails von Leuten, die nachfragten, ob mit mir alles in Ordnung sei", erzählt Mohamed. Bis zu acht Stunden täglich ist er manchmal online. "Das Internet ist die Lunge, mit der ich atme", sagt er.
Auch der Besitzer des Internet-Cafés, Mohamed Ahmed, hat die Erfahrung gemacht, dass es ihn erleichtert, Fremden von seinem Leben in Gaza erzählen zu können. "Hier sind alle frustriert und wissen Bescheid", sagt Mohamed, "im Internet finde ich dagegen Leute, die neugierig sind auf meine Erfahrungen und denen ich mein Herz ausschütten kann." Aber auch das Internet kann den täglichen Konflikt nicht vergessen lassen. "Manchmal treffe ich im chat-
room einen Israeli", erzählt Mohamed. "Aber wenn ich mich zu erkennen gebe und sage, ich bin aus Palästina, geht er meist sofort wieder raus." Für viele Familien ist das Internet die einzige Möglichkeit, mit Verwandten in der Westbank oder irgendwo im Ausland in Verbindung zu bleiben. "Meinem Nachbar habe ich eine Leitung nach Hause gelegt", erzählt Mohamed. "Nun ist er ständig online und kann mit seiner Familie in Dschenin über alles reden, als säßen sie bei ihm zu Hause." Für den 22-Jährigen, der an der Universität von Gaza Informatik studiert hat, ist das Internet-Café auch eine Riesenchance. Mit Hilfe seines Vaters trieb er die 18 000 Dollar auf - ein echtes Vermögen in Gaza -, um das Al Manar im vergangenen Jahr zu eröffnen. Die Computer stammen alle aus Israel. "Es ist toll jung und der Chef zu sein", sagt Mohamed mit breitem Grinsen. Allerdings sei die Konkurrenz zwischen den Internet-Cafés in Gaza hart.
Geld für den eigenen Anschluss fehlt
In den vergangenen Jahren erlebte die Stadt am Mittelmeer einen Internet-Boom. Ahmed Abumarzovq vom Internet-Provider Palästinensischer Internet Service (PIS) schätzt, dass es in Gaza inzwischen mehr als hundert Internet-Cafés gibt. Hauptnutzer seien 15- bis 25-Jährige, für die das Internet das wichtigste Unterhaltungs- und Informationsmedium sei. Doch das fehlende Geld in den Familien hat inzwischen dazu geführt, dass immer mehr Gaza-Einwohner ihren Anschluss zu Hause wieder abmelden. PIS hat 20 Prozent seiner Kunden verloren. "Essen, Schule, Miete, das muss alles erst bezahlt werden."
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