Palästina im Spiegel deutscher Pilger, Reisender und Orientforscher
Palästina im Spiegel deutscher Pilger, Reisender und Orientforscher vom Mittelalter bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts II
Abdul M. Husseini
Im ersten Teil dieser Artikelreihe wurde das Bild Palästinas im Spiegel deutscher Pilger im Mittelalter nachgezeichnet. Die weitere Entwicklung der Palästinaforschung in Deutschland von der Renaissance bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ist Gegenstand dieser Fortsetzung. Die Befreiung Europas von den Fesseln des Mittelalters ebnete den Weg zu einer qualitativ neuen Betrachtungsweise des Orients im allgemeinen und Palästinas im besonderen. Die deutsche Palästina-Forschung wurde auch von den Veränderungen der Machtverhältnisse in und um Palästina erheblich beeinflußt. Die Phase der Renaissance in Europa und der Reformation in Deutschland fällt mit der Ausdehnung der osmanischen Herrschaft (1516) auf Palästina zusammen. Sie endet mit dem Vorstoß Napoleons nach Ägypten und Palästina im Jahre 1798. Der Niedergang des osmanischen Reiches eröffnete zugleich den Kampf zwischen den europäischen Mächten um das Erbe des Kranken Mannes am Bosporus. Kennzeichnend für diese Phase ist die Tatsache, daß die Palästinaforschung zum größten Teil kulturell und religiös motiviert war und nicht im Dienste kolonialer Pläne stand wie im späteren 19. Jahrhundert.
Erschütterung des Feindbildes
Das Bild Palästinas und des islamischen Morgenlandes entwickelte sich unter dem Einfluß der Renaissance und der Reformation weiter. Das Feindbild, das sich das europäische Mittelalter von der islamischen Welt zu eigen machte, wurde infolgedessen erschüttert. Es kam zu einer neuen Haltung gegenüber den Arabern. Maxime Rodinson schreibt: "Sie waren neben den Griechen zu Klassikern geworden. Doch in der Renaissance zog man ihnen die Griechen vor." (1) Obwohl das osmanische Reich auf politischer Ebene eine Bedrohung für Europa darstellte, löste seine Macht auch Bewunderung aus. Die Entwicklung politischer Beziehungen zwischen Konstantinopel und den europäischen Hauptstädten, die durch Verträge geregelt wurden, schufen eine gewisse Normalisierung der Beziehungen zwischen dem Abend- und dem Morgenland. Dies kam dem Handel und der Pilgerfahrt zugute. Die Zahl der europäischen Pilger ins Heilige Land, der Diplomaten und Reisenden nahm allmählich zu. Die Aufhebung des vom Papst im Mittelalter verhängten Verbots der Pilgerfahrt und des Handels mit den Muselmanen sowie die Verbesserung der Herbergsbedingungen und des Schiffsverkehrs erleichterten die Reise nach Palästina. Überschritt die jährliche Zahl der Pilger im Mittelalter nicht die 300, waren es im Jahre 1666 etliche Tausende. "1719 zählte man vier bis fünf Tausend". (2)
Die Orientalistik etabliert sich
Das Interesse an der Erforschung Palästinas war unter dem Eindruck der Reformation besonders in Deutschland außerordentlich groß. "Die biblische Exegese, Hauptgegenstand der Diskussion zwischen Katholiken und Protestanten, führt auch zum Studium der orientalischen Sprachwissenschaften." (3) Es kam zur Entwicklung der Orientalistik als spezielles Fachgebiet an den europäischen Universitäten. In Deutschland entwickelten sich die orientalischen Studien im 18. Jahrhundert. Dabei nahm Göttingen einen zentralen Platz ein. Die erste wissenschaftliche Expedition in den Orient ging von Göttingen aus. (4) Es handelte sich um die Reise von Carsten Niebuhr (1733 - 1815). Der Sohn des Reisenden schilderte die Hintergründe der Pionierreise seines Vaters folgendermaßen: "Der Plan, eine Reise nach Arabien zu unternehmen, ging von dem Göttinger Professor Johann David Michaelis aus, dem Begründer der historisch-kritischen Betrachtung des Alten Testaments. Michaelis wandte sich mit diesem Plan an den dänischen Minister des Auswärtigen, Freiherrn Johann Hardwig Ernst von Bernstoff. Er tat dies nicht ohne Grund: Dänemark, von König Friedrik V. regiert, blieb damals von Kriegen verschont, außerdem war Bernstoffs Aufgeschlossenheit der Wissenschaft gegenüber bekannt. Michaelis stellte dem dänischen Staatsminister vor, daß durch eine Erkundung Arabiens, ein von europäischen Reisenden kaum betreten Land, für die Philologie des Alten Testaments viele Erkenntnisse gewonnen werden könnten." (5)
Expedition nach Arabien
Der Expedition sollte sich der Orientalist und bedeutendste Philologe der arabischen Sprache Johann Jakob Reiske (1716 - 1774) anschließen. Seine Teilnahme wurde jedoch von Michaelis verhindert, und er wurde durch einen Laien ersetzt. Reiske zählte zu den Bewunderern des Islams. "Er sah in der Gründung des Islams etwas Göttliches." (6) Reiske gehörte zu den Humanisten des 18. Jahrhunderts, die brüderlich und verständnisvoll auf den muslimischen Orient blickten. Sein Einfluß auf die Reisenden war trotz seiner Nichtteilnahme groß.
Die Reise von Carsten Niebuhr begann am 4. Januar 1761 und ging am 20. November 1767 zu Ende. Zur Expedition gehörten:
- Professor Friedrich Christian von Haven, der in Rom Minorieten die morgenländischen Sprachen gelehrt hatte,
- Peter Forskal, ein Professor der Naturgeschichte, der mehrere morgenländische Sprachen beherrschte,
- Carsten Niebuhr, geboren in Lüdingsworth an der Niederelbe, dem die Beschreibung Arabiens aufgetragen wurde,
- der Arzt Carl Cramer,
- der Maler und Kupferstecher Georg Wilhelm Baurenfeind. (7)
Diese Expedition, die zwecks biblischer Forschung zustande kam, stellte einen Wendepunkt in der wissenschaftlichen Erkundung Arabien und insbesondere Palästinas dar. Bestanden bisher die Informationen über das Heilige Land aus Reiseberichten von Händlern, Diplomaten oder Pilgern, kurz gesagt, von Nichtspezialisten, so öffnete diese Pionierexpedition eine neue Ära in der wissenschaftlichen Erforschung Palästinas. Ihre Zusammensetzung aus Spezialisten, die professionelle Kenntnisse in der arabischen, türkischen und persischen Sprache besaßen und mit den Ergebnissen der orientalischen Studien in Europa vertraut waren, sorgte dafür, daß die Ergebnisse der Expedition zu einem Aufschwung der orientalischen Studien führten. Außerdem hat die sorgfältige Vorbereitung der Reise ihre Erfolgschancen optimiert. Besonders erwähnenswert ist, daß die Reisenden, insbesondere Carsten Niebuhr, eine positive Einstellung - frei von Vorurteilen und Mißtrauen - zu den bereisten Ländern hatten. Dies wird aus seiner Beschreibung Arabiens ersichtlich.
Niebuhr in Palästina
Doch begleiten wir Niebuhr während seines Aufenthaltes in Palästina. Morgenländisch gekleidet reiste er von der Stadt Larnaka auf Zypern mit dem Schiff in Begleitung von Franziskaner-Mönchen nach Jaffa. Über einige seiner Reisegefährten erzählte er folgende Kuriosität: "Von Dänemark hatten sie nie gehört. Da ich wie ein Morgenländer gekleidet war, hielten sie mich für einen Untertanen des Sultans und fragten mich, ob Dänemark hinter Anatolien liege. Als ich ihnen antwortete, daß ich ein Europäer sei, beschimpften sie mich und nannten mich einen Ketzer." (8)
Carsten Niebuhr erreichte am 30. Juli 1766 die Stadt Jaffa. Kaum daß er den Boden des Heiligen Landes betrat, da wurde er von einer großen Fülle von angstauslösenden Informationen über das Land und seine Bewohner überschüttet. Man empfahl ihm, die Araber nicht von seiner Ankunft wissen zu lassen, damit er nicht von ihnen auf der Weiterreise nach Jerusalem ausgeplündert würde. Deshalb dürfe er das Haus nicht verlassen und würde außerdem eine Genehmigung des Reverendissimo der Franziskaner in Jerusalem brauchen, um das Heilige Grab zu besuchen. Dies löste bei Carsten Niebuhr Mißverständnis und Frustration aus. Er fragte sich, "wieso ein Protestant von einer Erlaubnis der Franziskaner abhängig sei und wieso ein Europäer Jerusalem nicht genauso wie alle anderen Städte des türkischen Reiches betreten könne." (9) Niebuhr berichtet von der großen Macht der Franziskaner, die in Bezug auf die christlichen Besucher im Heiligen Land alles bestimmten. Diese Machtausübung wurde ihnen von den türkischen Behörden unter bestimmten Bedingungen, die später erläutert werden, übertragen.
Jaffa - eine blühende Stadt
Während seines kurzen Aufenthaltes konnte Niebuhr einige Fakten und Informationen über Jaffa sammeln. Er schrieb: "Diese Stadt hat ihr Gesicht oft verändert, ja sie wurde mehrmals zu Gänze zerstört. Da sie aber der Hafen von Jerusalem ist, blühte sie immer wieder von Neuem auf. Als ich dort war, zählte ich etwa 500 Häuser. Das Wasser in Jaffa ist gut, und seit man einen in der Nähe gelegenen Sumpf ausgetrocknet und in Gärten verwandelt hat, ist auch die Luft gesund. Die Häuser liegen zum größten Teil am Fuß eines Berges und sind aus Kalk und Steinen erbaut. Der Hafen ist seicht, daß die Schiffe auf offener Reede Anker werfen müssen. Ein alter Mann versicherte mir, daß in seiner Jugend kleine Schiffe bis nahe an die Häuser heranfahren konnte. Die See hat sich offenbar auch hier zurückgezogen." (10)
Es ist bemerkenswert, daß Carsten Niebuhr sich mehr für die damalige Gegenwart Palästinas interessierte und nicht ausschließlich den Spuren der biblischen Vergangenheit des Heiligen Landes folgte. Über die Städte berichtete er und stützte sich auf Informationen, die er durch Kontakt mit den Einheimischen gewinnen konnte. Seine Erfahrungen und Eindrücke verarbeitete er in seinem später erschienenen Buch. Seine Herangehensweise war kritisch. Er ließ sich nicht von den damals verbreiteten Vorurteilen beeinflussen, sondern er versuchte, stets nüchtern und mit klarem Verstand die Hintergründe solcher Vorurteile aufzudecken.
Auf dem Weg nach Jerusalem
Auf der Reise von Jaffa nach Jerusalem diente die Stadt Ramle als Zwischenstation. Die Stadt lag in einer sandigen Gegend, "wo man so viele Wassermelonen anbaut, daß ganze Schiffsladungen nach Syrien und Ägypten ausgeführt werden können." (11) Die Stadt diente nicht nur als Umschlagplatz landwirtschaftlicher Erzeugnisse, sondern sie beherbergte eine nicht geringe Zahl von europäischen Kaufleuten. "Der Handel mit Seife, Baumwolle und Asche (diese benötigen die Europäer in Seifen- und Glasfabriken) ist beträchtlich. Wegen dieser Produktion wohnen hier einige französische Kaufleute, die auch mit Tuch Handel betreiben." (12)
In Ramle befand sich auch ein Hospiz der Franziskaner, das größte in ganz Palästina. Es diente der Unterbringung der europäischen Pilger. Carsten Niebuhr berichtet über seinen Aufenthalt in diesem Hospiz.
Unter Räubern und Barbaren
Dort erzählte man ihm gleich nach seiner Ankunft, "daß die Araber Räuber und Barbaren seien, die Pilger überfielen und schlugen, wo immer dies möglich war." (13) Schnell konnte er feststellen, daß diese Erzählungen von den Übergriffen und Greueltaten der Araber nur das Ziel hatten, mehr Spenden aus Europa für die Kloster zu erwirken. Niebuhr, der vor seiner Ankunft in Palästina große Teile von Ägypten und Jemen bereist hatte, hatte bisdahin nicht feststellen können, daß die Araber grausam waren, und konnte deshalb nicht recht glauben, daß sie sich in Palästina unmenschlich benehmen sollten. Diese Vermutung bestätigte sich nach seiner Begegnung mit den Arabern, die ihn von Ramle nach Jerusalem begleiten sollten. Über den Widerspruch zwischen dem von den Franziskanern übermittelten Bild der Bewohner Palästinas einerseits und seiner persönlichen Erfahrung andererseits kam er zu folgender Schlußfolgerung: "Nach alldem, was ich bisher gehört hatte, glaubte ich anfangs, daß in Palästina die allerschlechteste Menschenrasse wohnte. Später stellte ich fest, daß die Bewohner dieses Landes nicht bösartiger waren als in anderen Gegenden. So hörte ich, daß in einigen Dörfern zwischen Ramle und Jerusalem ein kleines Weggeld eingehoben wurde, wer es bezahlte, konnte unbehelligt weiter reisen." (14)
Niebuhr in Jerusalem
In Jerusalem angekommen, besuchte Carsten Niebuhr als erstes eine Messe der Franziskaner, bei denen er zu Gast war. Der gläubige Protestant sah diesen Besuch nicht nur als Höflichkeitsgeste gegenüber seinen Gastgebern an, sondern war der Ansicht: "Auch in einer römisch-katholischen Kirche kannst du Gott für die dir erwiesene Gnade danken." (15) Diese religiöse Offenheit und Toleranz ist auch in seiner Schilderung des Verhältnisses von Muselmanen und Christen im Heiligen Land zu spüren. Er bereute den Besuch der Messe nicht, "denn ich sah hier, mitten in einem mohammedanischen Land, zu meiner großen Verwunderung nicht nur eine große Orgel, sondern hörte auch gute Instrumental- und Vokalmusik. Die Musiker waren ohne Ausnahme Franziskaner und, wie ich später hörte, größtenteils Deutsche." (16)
Niebuhr vermittelt ein Bild von Jerusalem, in dessen Mittelpunkt die Anhänger aller drei monotheistischen Weltreligionen über Religionsfreiheit verfügten; zu seinem Erstaunen, denn seiner Ansicht nach hätten viele Handlungen wie Musik während des Gottesdienstes oder Glockenläuten den Muslimen verächtlich erscheinen müssen. Er würdigte die religiöse Toleranz der Muslime, ohne sie zu idealisieren: "Befände sich Jerusalem noch in den Händen der Christen, würden diese den Mohammedanern kaum erlauben, ihre Gottesdienste öffentlich abzuhalten. Die Mohammedaner sind nicht so streng. Sie erlauben es den Christen und Juden sogar, Jerusalem zu wahlfahrten." (17)
Prügel am Grabe Christi
Die Wahrung der Religionsfreiheit der Christen und Juden im ganzen osmanischen Reich aufgrund der Milletverfassung war eine Fortsetzung der islamischen Tradition. Für die freie Ausübung ihrer Religion sollten Christen und Juden nach dem islamischen Recht dem Staat eine besondere Steuer entrichten. (18) Sie wurde erst 1908 abgeschafft. Der Vers 29 der Kriegssure IV lautet: "Bekämpft jene, die nicht an Gott glauben, noch an den jüngsten Tag und die nicht verbieten, was Gott und sein Gesandter verboten haben, und die nicht die wahre Religion bekennen, von denen, denen das Buch gegeben ist, bis sie die Gizya (Kopfsteuer) geben aus eigener Hand und demütig sind." (19) Diese kor'anische Regelung wurde von Carsten Niebuhr als praktisch empfunden. Denn der Staat sorgte auch für Ruhe und Ordnung während der religiösen christlichen Feste. "Am Osterfest, wenn Tausende von Pilgern in der Grabeskirche versammelt sind, sorgen Janitscharen für Ruhe und Ordnung. Denn es kommt nur zu häufig vor, daß Pilger einander am Grabe Christi verprügeln. Daß die Christen für die Freiheiten, die sie hier genießen, an die Mohammedaner beträchtliche Abgaben entrichten, finde ich billig." (20)
Der materielle Nutzen der Religion
Die Beziehungen zwischen den verschiedenen christlichen Religionsgemeinschaften in Jerusalem waren nicht frei von Streitigkeiten und Reibereien. Niebuhr bemerkte, "daß zwischen den Mönchen ständig Neid, Haß, ja offene Feindschaft herrschen. Jedes Kloster will das vornehmste sein und sich Vorrechte sichern. Daraus ziehen die Mohammedaner den meisten Nutzen. Wer am meisten gibt, darf das Grab Christi pflegen." (21) Niebuhr berichtet über die großen Geldsummen, die aus Europa nach Palästina zur Erhaltung der heiligen Stätten flossen. Die Pilger sollten auch an den Statthalter von Jerusalem Zahlungen leisten. Diese Abgaben seien allerdings nicht hoch. Carsten Niebuhr bemerkte, daß hinter der Toleranz der islamischen Behörde in Jerusalem auch materielle Interessen steckten: "Daß die Mohammedaner aus der Verehrung, welche die Christen den heiligen Stätten erweisen, Nutzen ziehen, beweist nur ihre Klugheit. Im übrigen erheitert es die Mohammedaner, wenn die Christen behaupten, daß es zu diesem oder jenem bedeutsamen Ereignis an einer bestimmten Stelle, nicht hundert Schritte weiter südlich oder nördlich gekommen ist." (22) Nach der Schilderung des religiösen Lebens in Jerusalem ging Niebuhr zur Beschreibung der Stadt über: "Die Stadt ist nach türkischer Art von einer Mauer umgeben und hat ein kleines Kastell. Die Häuser sind zum Großteil aus behauenen Steinen erbaut, die Dächer sind, wie die meisten in den Morgenländern, flach. Einige Häuser sind mit Marmor verkleidet." (23) Er zählt die sieben Tore und andere Sehenswürdigkeiten Jerusalems auf, in deren Mittelpunkt die Grabeskirche, der Haram al-Sharif und die vielen Klöster stehen. Der Grabeskirche galt sein besonderes Interesse, da der Reichtum der Kirche an goldenen und silbernen Lampen und anderen wertvollen Gefäßen besonders auffällig war. "Das meiste besitzen die Franziskaner, die Griechen, welchen es auch nicht an Stolz und Religionseifer mangelt, das wenigste. Das erregte Haß, und häufig genug prügeln sich die Mönche in der Kirche oder vor dem Heiligen Grab. Treiben sie es zu arg, daß ihr Geschrei bis zu der Janitscharenwache hinausdringt, wird die Kirche geöffnet und die Janitscharen bringen mit großen Knüppeln beide Parteien zur Räson. Außerdem müssen die Mönche dann eine ansehnliche Geldstrafe bezahlen." (24)
Die türkischen Behörden in Jerusalem ließen in der Regel keine Gelegenheit aus, Gelder zu erpressen. Das Steuersystem in Palästina und im gesamten Orient des 18. Jahrhunderts war ein Ausplünderungssystem aller Produktivkräfte. Die türkische feudaldespotische Herrschaft bedingte, daß das ganze wirtschaftliche und soziale Leben stagnierte. Die Doppelausbeutung der Bauern in Palästina durch Staat und einheimische Feudalherren ließ ihnen keinen Raum, mehr und besser zu produzieren.
Dies ist einer der Gründe, daß viele Ländereien in Palästina brachlagen. Niebuhr sah die Ursachen dafür in den vielen blutigen Kriegen und in der Verwaltung der Muslime: "Darüber darf sich niemand wundern. Denn man muß bedenken, wie viele blutige Kriege hier geführt wurden, und daß das Land tausend Jahre lang von den Mohammedanern verwaltet wird, die viele andere ebenso fruchtbare Gebiete haben verfallen lassen." (25) Als Mohammedaner bezeichnete Niebuhr die Osmanen und die von ihnen Beherrschten. Trotz dieser Verallgemeinerung und Undifferenziertheit, die man teilweise bei seinen Schilderungen von Sachverhalten und seinen Analysen der Ursachen von Verfall und Stagnation wirtschaftlicher Zweige in Palästina feststellen kann, bleiben Sachlichkeit und Objektivität die Hauptmerkmale des Bildes, das er sich von den damaligen Verhältnissen zu eigen machte. Dies war bei den meisten europäischen Reisenden und Orientforschern im 19. Jahrhundert nicht der Fall. Als Ursachen für ökonomische und gesellschaftliche Rückständigkeit wurden später rassistische Thesen aufgestellt, die die kolonialen Pläne in Europa rechtfertigen sollten.
Jerusalem - Zentrum der europäischen Mächte
Die letzten Eindrücke Niebuhrs von Jerusalem galten seien Begegnungen mit den vielen Mächten aus allen europäischen Nationen. Man fand unter ihnen solche, "die herzlich einfältig. abergläubisch und völlig ungehobelt sind. Einer wollte mich belehren und sagte mir ins Gesicht, daß alle, die den Papst als Statthalter Gottes nicht anerkennen, ewig verdammt sein würden." (26)
Das nächste Ziel der Weiterreise von Carsten Niebuhr konnte nur Bethlehem, der Geburtsort Christi, sein. Im wirtschaftlichen Leben der Stadt spielte das Handwerk eine beträchtliche Rolle. Vor allem wurden Rosenkränze und Nachbildungen des Heiligen Grabes und der Geburtskirche tonnenweise hergestellt und nach Europa exportiert.
In Akka
Carsten Niebuhr war auch einer der wenigen europäischen Zeitzeugen, die den Aufstieg und den Niedergang des Scheichs Daher el-Oman im Norden Palästinas näher beschreiben konnten. Der Name Daher el-Oman, der der arabischen Familie Seidan entstammte, ist nicht nur mit Unabhängigkeitsbestrebungen vom Osmanischen Reich verknüpft, sondern auch mit dem Wiederaufbau der Stadt Akka und mit ihrem Aufstieg zu einer blühenden Handelsstadt.
Daher el-Omar eroberte die Stadt im Jahre 1749, nachdem er seine Herrschaft auf ganz Galiläa ausgedehnt hatte. Er machte Akka zu seiner Hauptstadt und behauptete die Unabhängigkeit gegen die osmanische Übermacht, bis er im Kampf gegen die Türken im Jahre 1775 fiel. (27)
Niebuhr weilte in Akka im August des Jahres 1766. Er bezeichnete den Wiederaufbau Akkas als größtes Verdienst Scheichs Daher el-Omar. Dazu würdigte er die Toleranz des Scheichs gegenüber Juden und Christen: "Der Scheich Daher ließ Akka wieder aufbauen und mit einer Mauer und einem Graben umgeben. Für ihn errichtete man einen prachtvollen Palast, in dem er lange residierte. Er schützte die Christen und Juden ebenso wie seine Glaubensgenossen, und so wurde Akka wieder eine blühende Handelsstadt, wie bedeutend der Handel jetzt ist, kann man daraus ersehen, daß sich hier französische Kaufleute niedergelassen haben." (28) Die Stadt sei von der Fläche her nicht sehr groß, "aber sehr volkreich. Denn die Häuser sind hoch. Der ehemals vortreffliche Hafen ist jetzt nur für kleine Schiffe benützbar." (29)
Mit diesen Eindrücken Carsten Niebuhrs von der Stadt Akka, vor deren Toren drei Jahrzehnte später das Abenteuer Napoleons scheiterte, kommt dieser Beitrag zum Abschluß. Zusammenfassend kann man schlußfolgern, daß Carsten Niebuhr die Grundsteine der Entwicklung eines objektiven Bildes von Palästina und Arabien in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Deutschland und ganz Europa setzte. Mit Carsten Niebuhr ging auch eine Phase der Beschäftigung mit Palästina zu Ende. Die Palästinaforschung blieb im späteren 19. Jahrhundert nicht mehr die alleinige Sache der Orientforscher, Theologen und Philologen. Sie wurde von den politischen Machtinteressen der europäischen Mächte im Orient geprägt. Dies wird Gegenstand des nächsten Beitrages sein, der die Entwicklung der deutschen Palästinaforschung vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des I. Weltkrieges behandeln wird.
Anmerkungen.
1. Maxime Rodinson: Die Faszination des Islams, München 1985, S. 49
2. Klaus Polkehn: Palästina. Reisen im 18. und 19. Jahrhundert, Berlin 1986, S. 14
3. M. Rodinson, a.a.O., S. 61
4. vgl. Edward W. Said: Orientalismus, Frankfurt 1981, S. 26ff
5. Carsten Niebuhr: Entdeckung im Orient. Reise nach Arabien und andere Länder. Tübingen 1975, S. 323
6. M. Rodinson, a.a.O., S. 67
7. C. Niebuhr, a.a.O., 1. unnummerierte Seite und s. auch S. 325
8. ebenda, S. 210f.; 9. ebenda, S. 212; 10. ebenda, S. 214;
11./12./13 ebenda, S. 215; 14./15./16. ebenda, S. 218; 17. ebenda, S. 219
18. vgl. Ernst Werner; Walter Markov: Geschichte der Türken von den Anfängen bis zur Gegenwart, Berlin 1978, S. 115
19. zit. nach: W. Kowenig: Die Koexistenz der Religionsgemeinschaften im Libanon, Berlin 1965, S. 18
20. C. Niebuhr, a.a.O., S. 220
21./22. ebenda, S. 220; 23. ebenda, S. 219; 24. ebenda, S. 225; 25. ebenda, S. 219; 26. ebenda, S. 226
27. vgl. Hermann Gute und Georg Ebers: Palästina in Wort und Bild, Stuttgart/Leipzig 1885, S. 95f
28/29. C. Niebuhr, a.a.O., S. 229f
© Dr. Abdel Mottaleb El Husseini
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