"Heute ist Syrien wieder ein schöner Name"
Interview | Gudrun Harrer, 21. April 2012, 12:19
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foto: sou b music
Malek Jandali spielt am 28. April im Wiener Konzerthaus ein Benefizkonzert für Syrien.
Der syrische Komponist Malek Jandali widmet sein Wirken der Revolution - Das Regime schickte Schläger in das Haus seiner Eltern
Als er seine Musik der syrischen Opposition widmete, schickte das Regime seinen Eltern in Homs Schläger ins Haus, erzählt der in den USA lebende Komponist Malek Jandali im Interview mit Gudrun Harrer.
STANDARD: Sie stellen mittlerweile Ihre Arbeit ganz in den Dienst der Revolte in Syrien, aber Sie gehören keiner politischen Gruppierung an.
Jandali: Als Künstler muss ich meine Kunst auf die Höhe des historischen Moments - die Revolution - heben. Die Menschen in Syrien haben zum ersten Mal seit Jahrzehnten die Freiheit gekostet - und sie haben sie so lieben gelernt, dass sie dafür zu sterben bereit sind. Es gibt keine Kunst ohne Freiheit. Ich versuche, diese Wahrheit durch meine Musik zu dokumentieren. Dabei geht es nicht um Politik, sondern um Humanität.
STANDARD: Viele Syrer haben Angst vor dem, was nach Assad kommt.
Jandali: Wir sollten uns anschauen, was Syrien vor den Assads war: Wir hatten wirtschaftliche und politische Diversität, Kreativität, es gab keine konfessionellen Konflikte. Das Regime spielt mit der Angst, es versucht, die Menschen auseinanderzudividieren. Das tun alle Diktatoren. Aber es gibt nur eine Frage, und die lautet: Wer tötet hier wen? In Syrien tötet der Diktator sein eigenes Volk. Stellen Sie sich die deutsche Armee vor, die Berlin beschießt ... Aber die syrische Armee, das ist ja keine syrische Armee, denn sie tötet Syrer. Die Syrer erobern den Patriotismus zurück. Ich habe nie in meinem Leben eine syrische Flagge besessen, ich war nie ein Patriot, denn der Name meines Landes war immer assoziiert mit dem Namen des Diktators. Ich habe Assad nicht gemocht, also habe ich Syrien nicht gemocht. Heute ist Syrien wieder ein schöner Name, und Assad ist von ihm abgetrennt. Und ich habe eine syrische Flagge, jene aus der Zeit vor Assad.
STANDARD: Was sagen Sie jenen Syrern - darunter vielen Christen -, die sich dem Aufstand noch nicht angeschlossen haben?
Jandali: Ich sage ihnen: Niemand kann ein Regime unterstützen, das Kinder tötet und Frauen vergewaltigt. Wir haben ein Problem, wir haben Krebs, und wir sollten keine Angst haben, dass wir bei der Behandlung die Haare verlieren. Wir müssen den Krebs loswerden, der uns umbringt. Die Christen sind sehr aktiv in der Revolution. Alles andere ist Propaganda des Regimes, das alle Medien kontrolliert.
STANDARD: Sie haben Ihre Musik beim Begräbnis von Marie Colvin, der in Homs getöteten US-Journalistin, gespielt.
Jandali: Sie haben aus meinem Album "Emessa" (Homs) gespielt. Ihre letzte Station auf ihrer Reise auf der Suche nach der Wahrheit und der Schönheit war Homs, meine Heimatstadt. Es war mein erstes Revolutionsbegräbnis, sehr emotional. Marie war eine sehr mutige Frau, ich habe nur meine Musik.
STANDARD: Sie stammen selbst aus Baba Amro, dem geschundenen Viertel in Homs.
Jandali: Ja, und nachdem mein Stück "Freiheit", die Qashoush-Symphonie, herauskam, wurde mein Elternhaus zerstört. Ich habe mich verpflichtet gefühlt, die einfache Melodie von "Hau ab, Bashar", die Ibrahim Qashoush in den Straßen sang, in eine Symphonie zu fassen. Das Regime ließ ihm die Kehle durchschneiden und ihn in den Fluss werfen. Ich hätte nicht den Mut zu tun, was er tat, ich kann nur seine schöne Seele ehren.
STANDARD: Auch Ihre Eltern wurden angegriffen.
Jandali: Ich habe am 23. Juni mein Lied "Watani Ana" (Ich bin mein Heimatland) im Weißen Haus gespielt, ein paar Tage später sind die Schläger im Haus meiner Eltern in Baba Amro aufgetaucht. Sie haben vor allem meine Mutter schwer geschlagen, vor meinem gefesselten Vater, und ihr gesagt: "Das ist dafür, dass du deinen Sohn nicht ordentlich erzogen hast." Wir können froh sein, dass sie sie nicht getötet haben. Ich habe danach alles in Bewegung gesetzt, sie aus Syrien herauszubekommen, jetzt sind sie bei mir. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 21./22.04.2012)
Malek Jandali (40), in den USA lebender syrischer Musiker, stellt seine Arbeit in den Dienst der Revolte in Syrien. Jandali stammt aus Homs, ist aber in Deutschland geboren. Er studierte in Syrien und in den USA Klavier, gewann 1988 den National Young Artists Wettbewerb und ist heute als Komponist tätig. Dabei lässt er sich von der ältesten bekannten Musiknotation der Welt, entdeckt in der antiken Stadt Ugarit in Nordsyrien, inspirieren. Jandali gibt am 28. April im Wiener Konzerthaus ein Benefizkonzert für Syrien, "Echoes from Ugarit".
Linktipp:
www.malekjandali.com